Als am 24.02.2022 die Nachrichten über den russischen Einmarsch in die Ukraine über die Medien verbreitet wurden, traf mich dies wie ein Schock. Das Undenkbare war Realität geworden. Zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten gingen wieder die Bilder eines Krieges mitten in Europa um die Welt. Da meine Frau ursprünglich aus Russland stammt, hat sie dies in ganz besonderer Weise auch betroffen gemacht. Ihr kam die spontane Idee, für die betroffenen Menschen Hilfsgüter zu sammeln.
Angefangen im örtlichen Sportverein, kamen auf diese Weise innerhalb weniger Tage erstaunlich viele gespendete Gegenstände zusammen. Es war unser ursprünglicher Plan, diese Gegenstände persönlich mit einem Kleintransporter an die ukrainische Grenze zu fahren und die Hilfsgüter direkt an die vom Krieg betroffenen Menschen zu übergeben.
Im Rahmen der bezirksweiten Vorsteherversammlung am 1. März 2022 berichtete ich von unseren Aktivitäten, woraufhin sich nahezu alle Gemeinden in unserem Kirchenbezirk zur Teilnahme an der Sammlung bereiterklärten.
Die nächsten drei Wochen herrschte bei uns im Haus Ausnahmezustand. Von allen Seiten wurden großzügig Hilfsgüter angeliefert, die von uns ausgepackt, sortiert, in Kartons verpackt und beschriftet wurden. Die ganze Familie war damit in jeder freien Minute beschäftigt. Darüber hinaus war ich an mehreren Abenden in der Woche mit einem Kleintransporter unterwegs und holte aus einzelnen Gemeinden die dort gesammelten Hilfsgüter ab. Es war für mich sehr beeindruckend, mit welcher Leidenschaft und Hingabe an den einzelnen Sammelstellen benötigte Gegenstände bereitgestellt wurden. Oftmals mithilfe von vielen Helfern wurden diese Waren dann in den Kleintransporter verladen, von uns zu Hause entladen und wieder in den Sortierprozess gegeben.
Bereits nach einer Woche war klar, dass der Transport unmöglich mit einem Sprinter oder einem ähnlichen Gefährt durchgeführt werden könnte. Kubikmeter um Kubikmeter füllte sich jeder freie Winkel unseres Hauses und unserer Garage.
Aufgrund der Vermittlung von Anja Ochsenhirt-Gebhard bekam ich Kontakt zu der Spedition Duwensee in Heusenstamm, deren Geschäftsführer sich bereiterklärte, unsere Waren gemeinsam mit einer anderen Sammlung aus Heusenstamm mithilfe eines großen Sattelschleppers nach Polen an die ukrainische Grenze zu fahren.
Am Samstag, dem 26.03.2022 erschien dann der Lkw vor unserem Haus und wurde gemeinsam mit vielen freiwilligen Helfern bis auf den letzten Zentimeter mit Hilfsgütern voll beladen. Endlich konnten wir uns in unserem Haus wieder bewegen.
Am Montag, dem 28.03.2022, startete der Sattelschlepper in den frühen Morgenstunden dann seine Fahrt nach Polen. Auch ich fuhr am Vormittag nach einem beruflichen Termin in Frankfurt am Main in Richtung Osten los. Nach ca. 1.200 km erreichte ich über Erfurt, Dresden, Breslau, Krakau schließlich den Ort Rzeszow in Südostpolen, wo ich nach langem Suchen noch ein Hotelzimmer zur Übernachtung gefunden hatte. Aufgrund der Flüchtlingssituation waren die meisten Hotelzimmer in Grenznähe ausgebucht.
Nach einer kurzen, aber erholsamen Nacht fuhr ich dann am nächsten Morgen zum vereinbarten Treffpunkt mit dem Lkw aus Heusenstamm in der Stadt Przemysl. Gemeinsam ging es dann in das dortige internationale Logistikzentrum für Hilfsgüter, wo der Lkw bis zum Nachmittag komplett entladen wurde. Dringend benötigte Hilfsgüter wurden direkt auf kleinere ukrainische Fahrzeuge umgeladen und in die Ukraine verbracht. Andere Hilfsgüter, wie z. B. Kleidung und Schuhe, wurden auf Paletten umgeladen und zunächst dort zwischengelagert, bis eine Abholung stattfinden kann.
Von der Logistik der polnischen Behörden war ich sehr angetan. Ich bin im Anschluss an die Entladung noch einmal direkt zum Grenzübergang Medyka gefahren und habe mir die Lage vor Ort angeschaut. Mit jedem Meter, mit welchem man sich der Grenze näherte, bemerkte man eine stetig steigende Anzahl von Soldaten und militärischem Gerät. Dies hat mir klar vor Augen geführt, dass dieser Krieg tatsächlich vor unserer „Haustür“ stattfindet.
Dann ging es wieder Richtung Westen. Am Dienstagabend erreichte ich Breslau, die schlesische Hauptstadt, wo ich in einem umgebauten Kloster übernachtete, bevor es am nächsten Morgen wieder zurück in die Heimat ging. Gegen 20:30 Uhr kam ich erschöpft, aber zufrieden, nach ca. 2.600 km Fahrstrecke am Mittwochabend wieder zu Hause an.
Ich möchte an dieser Stelle allen, die sich, in welcher Form auch immer, an unserer Hilfsaktion beteiligt haben, ganz herzlich danken. Mein besonderer Dank gilt zunächst der Spedition Duwensee aus Heusenstamm, ohne deren Hilfe der Transport in dieser Weise nicht möglich gewesen wäre. Weiterhin möchte ich mich bei Anja Ochsenhirt-Gebhard bedanken, ohne deren Kleintransporter, den ich mir mehrere Male ausleihen durfte, ein Weitertransport der in den Gemeinden gesammelten Hilfsgütern sehr schwierig geworden wäre. Auch den Mitgliedern des TSV Heusenstamm sowie vielen spendenwilligen Kunden des Spielzeugladens „Spielzeugland“ in Heusenstamm gilt mein ausdrücklicher Dank.
Ich werde nie vergessen, wie aus einer Idee innerhalb kürzester Zeit solch eine Aktion realisiert werden konnte. Die Hilfsbereitschaft von allen Spendern hat mich wirklich tief beeindruckt.
Nächstenliebe, nicht nur ein Lippenbekenntnis, sondern gelebte Wirklichkeit.
19. April 2022
Text:
Patrick Kneisel
Fotos:
Patrick Kneisel
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